Mythen, Geheimnisse und Legenden
Glasklares Wasser in Azogirés
Noch sind die Strandliegen in Paleochóra verwaist.
Es weht zwar ein kräftiger und etwas kühler Mai-Wind, aber die Sonne hat Kraft und erzählt vom herannahenden Sommer.
Zwei oder drei Urlauber wagen sich immerhin bis zu den Knien ins Wasser.
All das beobachten wir von unserem Platz in einer schönen Cafébar oberhalb des Strandes bei einem eisgekühlten Fredo Cappuccino. Der Wind rauscht in einem ähnlichen Rhythmus wie die heranrollenden Wellen.
Inselgesang...
Wie werden wir ihn vermissen, wenn wir wieder in Deutschland sind!
Wenig später landen wir an dem nahezu ausgestorbenen Hafenbecken von Paleochóra.
Kleine Fischerboote mit benutzten Fangnetzen lassen uns vermuten, dass zumindest manchmal eines von ihnen aufs Meer hinaus schippert.
Trotzdem hat der Ort etwas Surreales. Möglicherweise liegt es an dem halb versunkenen, verrosteten Schiffswrack, das den Eindruck eines Geisterschiffes erweckt.
Der Wind heult triebig um den schwankenden Mast eines Segelschiffes.
Die wenigen Gebäude um den Hafen sind auf dem besten Wege, Ruinen zu werden.
Verlassen, wie sie dastehen, lassen sie den Rückschluss zu, seit geraumer Zeit keine Menschenseele mehr gesehen zu haben.
Wir sind froh, als wir eine halbe Stunde später bei einer Pita in einer ruhigen Gasse von Paleochóra sitzen.
Dass uns eine schöne Begegnung bevorsteht, wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. "Zufällig" treffen wir eine liebe Leserin, die mit ihrem griechischen Ehemann seit geraumer Zeit auf der Insel lebt. Obwohl wir einander bisher nicht persönlich kannten, sitzen wir bald darauf zusammen in einer Taverne und reden über Gott und die Welt.
Herzmoment!
Die Insel kriegt es irgendwie immer hin, Menschen zusammenzuführen.
Kreta-Magie, da ist sie wieder...
Schiffswrack im Hafenbecken von Paleochóra
Später machen wir uns auf den Weg zu der immergrünen heiligen Platane in Azogirés und wollen bei der Gelegenheit schauen, was es mit der geheimnisvollen Höhle der 99 heiligen Väter auf sich hat.
Allerlei spannende Geschichten und Mythen ranken sich um den Ort.
So heißt es beispielsweise, dass die 99 Mönche, die die Höhle einst bewohnt haben, Getreue des Heiligen Johannes gewesen seien sollen. Laut Überlieferungen sollen sie sich geschworen haben, allesamt zu sterben, falls Johannes etwas zustoßen würde.
Als wäre das allein an Dramatik nicht schon genug, trug es sich zu, dass der - mit Fell bekleidete - Johannes, der als Einsiedler auf der Halbinsel Akrotíri lebte, von einem Jäger erschossen wurde. Der Jägersmann hatte den Heiligen versehentlich für einen Bären gehalten, denn Johannes war mit Fell bekleidet.
Sterbend soll der heilige Mann dem Jäger verziehen und ihn damit beauftragt haben, sich schleunigst auf den Weg zu den 99 Mönchen zu machen, um ihnen aufzutragen, ihren Schwur nicht einzuhalten.
Untröstlich über das üble Missgeschick eilte der Jäger zu der Höhle, um den Tod der Mönche zu verhindern. Doch als er dort eintraf, hatten sich die Mönche bereits allesamt das Leben genommen...
Das ursprüngliche Dorf Azogirés oberhalb von Paleochóra liegt in den Bergen. Es ist idyllisch umgeben von Zypressen, Pinien und üppigen Olivenhainen.
Der Weg zur Höhle ist ausgeschildert. Es gibt einen schmalen, ungefähr 2 Kilometer langen Zufahrtsweg. Von der ehemaligen Olivenölfabrik aus, geht es nur noch zu Fuß weiter.
Im angrenzenden dicht bewachsenen Wald plätschern die Quellen. In dem kristallklaren Wasser brechen sich die Sonnenstrahlen. Zauberhafte, glitzernde Lichter tanzen in der Nähe der Wasseroberfläche.
Vielleicht sind es auch Feen. Oder Nymphen. Wer weiß das schon?!
Es ist angenehm kühl und riecht intensiv nach Laub und Erde.
Dass dieses besondere Fleckchen Erde von einer mystisch-märchenhaften Aura beseelt ist, lässt sich aus meiner Sicht nicht leugnen.
Jenseits von Hotels, Touristenstränden und Sonnencreme zeigen sich überraschende Welten auf Kreta.
Dennoch ist es so typisch für die Insel - und nur eines von unzähligen Beispielen dafür, wie unglaublich facettenreich und vielfältig diese wunderbare Insel ist.
Einen Moment lang bedauern wir, dass wir nichts zu essen mitgenommen haben. Denn ein hölzerner Tisch mit Sitzgelegenheiten lädt an diesem idyllischen Plätzchen zum Verweilen ein.
Die Umgebung zu der Höhle der 99 heiligen Väter ist ein mystischer Ort mit einer geheimnisvollen Aura
Bald darauf streifen wir durch das Gelände der nahegelegenen Kirchenanlage. Einer der 99 heiligen Väter soll hier gepredigt haben. Wir hätten gerne einen Blick in die Kirche geworfen, doch die Türe ist leider verschlossen.
Ein sehr steiler, staubiger und äußerst abenteuerlich anmutender Weg führt von dort aus zu der sagenumwobenen Höhle. Auf halber Strecke wird es mir eindeutig zu rutschig und wir kehren lieber wieder um.
Unter der, nicht minder geheimnisvollen immergrünen Platane wartet die Knutschkugel (unser Mietwagen) schon auf uns.
Abb. 1: Die immergrüne Platane, Abb. 2: Provisorisches Hinweisschild, Abb. 3 Kirchengelände
Eigentlich wollen wir irgendwo einkehren, denn der abenteuerliche Ausflug hat uns hungrig werden lassen. Doch überraschenderweise entdecken wir an der befestigten Straße erneut ein Hinweisschild zu der Höhle der 99 heiligen Väter.
Vielleicht gibt es ja doch die Chance, die Höhle unter weniger abenteuerträchtigen Voraussetzungen zu besichtigen?
Um zu spoilern: NEIN - es gibt sie nicht (jedenfalls nicht für uns ;))
Irgendwo in den Bergen haben wir zwar wieder ein provisorisches Hinweisschild zur Höhle gefunden. Sonderlich vertrauenserweckend wirkte es auf uns allerdings nicht.
Die frisch entdeckte (angebliche?) Fahrstrecke zur mystischen Höhle der heiligen Väter erfordert gute Reifen und starke Nerven.
Eine gesunde Portion Urvertrauen kann auch nicht schaden.
Der Weg führt auf einem schmalen, geschwungenen Pfad steil (teilweise SEHR steil!) nach oben. Dann und wann klafft an meiner Seite der gähnende Abhang, und ich muss den Impuls unterdrücken, meinem besten Ehemann von allen allzu nah auf die Pelle zu rücken, um in ihn hineinzukriechen.
Angesichts der schwindelerregenden Höhe bei minimaler Randbefestigung dreht mein mitreisender Panik-Monk hysterisch am Riesenrädchen.
Mein Mann hat Spaß.
Ich habe erst später Spaß. Nämlich dann, als wir am Ende des Weges mit einem geradezu paradiesischen Panoramablick belohnt werden.
Mehr Kreta geht kaum.
Immer, wenn Meer, Berge und Weite zusammentreffen, kann man der Insel besonders nah sein und ihre kraftvolle Aura spüren.
Kretas "Geschenke" lassen mein Herz tanzen... Impressionen von unserem Schotterweg ;)
Lautlos gleitet ein Greifvogel über uns hinweg. Ganz in der Nähe muss eine Ziegenherde unterwegs sein. Ihre Rufe werden von dem kräftigen kühlen Wind davongetragen und verhallen in der himmelblauen Unendlichkeit.
Bei jedem Atemzug jubelt mein Herz.
Ich weiß, wenn wir übermorgen im Flieger sitzen und hinunter auf die Insel blicken, dann bleiben unsere Herzen zurück.
Es war mir wieder eine große Freude, dich mit auf unseren Ausflug zu nehmen.
Über Kreta zu schreiben, ist für mich keine Arbeit. Es ist pure Freude und Inselliebe. Ich mag es, all das mit dir zu teilen.
Herzlichen Dank, dass du mitgereist bist!